Kanzlerbesuche in Lingen
An der Spitze der jungen Bundesrepublik stand von 1949 bis 1963 Bundeskanzler Konrad Adenauer. Der damals schon hochbetagte Politiker wurde zu einer Symbolfigur der jungen deutschen Demokratie, des Wirtschaftswunders und der Westbindung der Bundesrepublik.
Adenauer besuchte im April 1955 im Wahlkampf für den Niedersächsischen Landtag die Stadt Lingen und nahm hier an einer Großkundgebung der CDU teil.
Der Bundeskanzler war mit der Bahn angereist, wurde aber mit seiner Kanzlerkarosse, einem Mercedes 300, vom Bahnhof zum Marktplatz gefahren, wo ihn schon eine große Menschenmenge erwartete.
Ein Mädchen aus Nordhorn, Renate von Lewicki, Tochter des dortigen CDU-Kreisgeschäftsführers, überreichte Adenauer zur Begrüßung einen Blumenstrauß. Die offizielle Begrüßung erfolgte durch den Landtagsabgeordneten Clemens Hesemann.
An die Kundgebung, bei der Adenauer auf den Streit um die Konfessionsschulen in Niedersachsen und auch den Nato-Beitritt einging, schloss sich ein Empfang im Rathaus an, bei dem sich Adenauer auch in das Goldene Buch der Stadt eintrug.
Adenauers Gegenspieler Willi Brandt trat 1961, damals noch als Regierender Bürgermeister von Berlin, auf einer Wahlkampfkundgebung in Lingen auf. Es war kurz vor dem Mauerbau. Brand war damals der Herausforderer Konrad Adenauers bei der Bundestagswahl. Er absolvierte am 22. Juli eine ganze Reihe von Wahlkampfveranstaltungen in Bentheim, Schüttorf, Rheine und Nordhorn. Den Zwischenstopp in Lingen verband er mit einem Mittagessen auf der Wilhelmshöhe, wo er auch politische Freunde traf.
Seine Rede auf dem Marktplatz dauerte nur 20 Minuten und war kaum zu verstehen, weil die Stadtverwaltung den Markt nicht für den Durchgangsverkehr gesperrt hatte. Bei der späteren Wahl hatte Brandt übrigens keinen Erfolg, denn Konrad Adenauer wurde 1961 ein weiteres Mal zum Bundeskanzler gewählt.
1968 besuchte Helmut Schmidt die Stadt Lingen, um als Innensenator der Hansestadt Hamburg Wahlkampf zu machen. Ein Jahr darauf übernahm die SPD unter Willi Brand die Regierung. Schmidt wurde Bundesminister und schließlich von 1974 bis Bundeskanzler.
Willi Brand wurde 1969 Wahlsieger und zum Bundeskanzler gewählt. Sein Gegenspieler und Oppositionsführer im Bundestag war Rainer Barzel. Am April 1972 wäre Barzel beinahe Bundeskanzler geworden, doch fehlten ihm beim Misstrauensvotum gegen Willy Brand überraschend die entscheidenden Stimmen. Nachdem er die nachfolgenden Wahlen verloren hatte, wurde er 1973 von Helmut Kohl als Parteivorsitzender abgelöst. Barzel trat 1978 bei einer Wahlkampfveranstaltung auf der Wilhelmshöhe in Lingen auf, hatte damals aber den Zenit seiner politischen Karriere längst überschritten.
Barzels Nachfolger, der Rheinland-Pfälzische Ministerpräsident Helmut Kohl, trat 1976 erstmals als Kanzlerkandidat für die CDU an und besuchte im Wahlkampf unter dem Motto „Kanzler für Deutschland“ auch die Stadt Lingen. Der Marktplatz war von den zahlreichen CDU-Anhängern aus der gesamten Region völlig überfüllt. Kohl wurde unter anderem begleitet von Werner Remmers, Burkhardt Ritz und Hans-Gerd Strube. Bei der Wahl verfehlte er die Mehrheit nur knapp und ging als Oppositionsführer nach Bonn in den Bundestag. Erst 1982 gelang es ihm, bei einem konstruktiven Misstrauensvotum gegen Bundeskanzler Helmut Schmidt von einer Koalition aus CDU, CSU und FDP zum Kanzler gewählt zu werden. Er übte dieses Amt 15 Jahre aus und in seine Kanzlerschaft fiel auch die deutsche Wiedervereinigung.
Noch vielen Lingenern in Erinnerung sind die Besuche von Gerhard Schröder in Lingen. 1990 trat er als Kandidat für das Amt des niedersächsischen Ministerpräsidenten bei einer Wahlkampfveranstaltung auf der Wilhelmshöhe auf, zu der ihn Jan Oostergetelo eingeladen hatte. Schröder gewann die Wahl und wurde von 1990 bis 1998 Ministerpräsident in Niedersachsen. 1998 wurde er als erster Niedersachse Bundeskanzler und hatte dieses Amt bis 2005 inne. Sein Ruf als „Genosse der Bosse“ läuft ihm bis heute nach.
Angela Merkel wurde 2005 die erste Bundeskanzlerin von Deutschland und hat 16 Jahre lang bewiesen, dass auch Frauen Kanzler können. 2017 besuchte sie die Stadt Lingen. Ob die Ära einer Regierungschefin mit ihrem Ausscheiden vorläufig endet, ist noch nicht entschieden, denn es gibt ja zumindest eine Kandidatin. Der heutige Wahlabend wird es wohl zeigen.