Lingen ab 1. März 1974: „Kleinste deutsche Großstadt“

Vor 50 Jahren kam die Gebietsreform im Raum Lingen

Lingen „Kleinste deutsche Großstadt“ hieß es ab dem 1.3.1974

Vor 50 Jahren regelte ein Gesetz die Neugliederung der Gemeinden im Raum Lingen. Zahlreiche bis dahin selbständige Nachbargemeinden wurden Ortsteile der Stadt Lingen. Doch nicht überall traf diese gesetzliche Regelung auf Zustimmung. So prägte die Gebietsreform in weiten Teilen die lokalpolitische Diskussion der späten 60er- und frühen 70er-Jahre. Am Ende hieß es dann: „Lingen ab 1. März 1974: Kleinste deutsche Großstadt“: So vermeldete es jedenfalls „Das Rathaus“, ein damaligen Mitteilungsblatt der Jungen Union in Lingen. Die Schlagzeile war eigentlich als Scherz gemeint, denn der Untertitel lautete: „(aber nur flächenmäßig)“ – doch daran störte sich in der neuen Emslandmetropole keiner.

Schon Ende der 50er-Jahre waren im alten Stadtgebiet von Lingen die Siedlungs- und Gewerbegebiete bis an die Grenzen zu den damals noch selbständigen Nachbargemeinden Darme, Laxten, Brögbern und Altenlingen herangewachsen und konnte sich mangels freier Flächen nicht mehr ausdehnen. So gab die Stadt schon 1958 bei dem renommierten Raumplaner Dr. Richard Hugle ein Gutachten in Auftrag, das die Stadt-Umland-Beziehungen analysierte und die Notwendigkeit einer räumlichen Ausdehnung des Stadtgebietes darstellte. Damit war eine erste raumplanerische Grundlage geschafften, aber es sollten zehn Jahre vergehen, bis das Thema wirklich akut wurde.

1968 gründete die Stadt eine „Arbeitsgemeinschaft Lingen-Umland“. Es handelte sich aber um eine reine Kontaktgruppe, die keine konkreten Ergebnisse lieferte. Wichtiger war, dass Lingen 1968 Bundesausort mit besonderen Förderungen für Industrieansiedlungen wurde. Und diese Förderungen wollte man sich auch in Darme und Laxten nicht entgehen lassen, wo man ohnehin über kurz oder lang eine „Eingemeindung“ nach Lingen befürchten musste.

So schlossen sich 1969 die bis dahin selbständigen Gemeinden Darme und Laxten-Brockhausen auf freiwilliger Basis der Stadt Lingen an. Es wurde beschlossen, anstelle der bisherigen Gemeinderäte neue Ortsräte zu installieren, um so ein gewisses Maß an Eigenverwaltung garantieren zu können. Am 1.1.1970 trat dieser „Zusammenschluss“ in Kraft. Damit hatte die Stadt ihre Einwohnerzahl und vor allem ihre Fläche wesentlich vergrößert. Auf den weitläufigen Flächen in Darme konnte die Ansiedlung des Industrieparks Süd beginnen.

1971 folgenden weitere Anschlüsse an Lingen. Die Gemeinde Bramsche, die sich erst kurz zuvor aus dem Kleinstgemeinden Bramsche-Wesel, Estringen, Hüvede-Sommeringen und Mundersum gebildet hatte, trat ebenso der Stadt Lingen bei wie die Gemeinde Baccum, gebildet aus den früheren Kleinstgemeinden Ramsel, Baccum und Münnigbüren.

Bereits 1969 hatten sich Vertreter der Gemeinden Holthausen, Biene, Brögbern, Bawinkel, Clusorth-Bramhar, Plankort, Duisenburg und Altenlingen getroffen und den Plan eines Zusammenschlusses geschmiedet, um sich so die Steuereinnahmen aus der Erdölraffinerie zu sichern. Die Bildung dieser „Großgemeinde Holthausen“ oder auch „Nordgemeinde“ wurde vom Landkreis Lingen unterstützt.

Eine Studie des Kreises aus dem Jahre 1971 sah im Mittelpunkt des Landkreises eine Stadt Lingen mit den Ortsteilen Altenlingen, Laxten-Brockhausen, Baccum, Darme Bramsche vor. Sie sollten umgeben sein von sieben Gemeinden, nämlich Schepsdorf-Lohne, einer neuen Nordgemeinde, ferner Lengerich, Freren, Spelle, Emsbüren sowie Salzbergen im Süden des Landkreises.

Mit einem Gutachten wehrte sich Schepsdorf-Lohne gegen die Aufteilung

Ein Jahr später legte die Landesregierung ihr Gutachten über den „Schwerpunktraum Lingen“ vor, dass eine weitere Ausweitung der Stadt Lingen befürwortete. Widerstand regte sich nicht nur in der „Nordgemeinde“, sondern auch in Schepsdorf-Lohne. Diese Gemeinde sollte nämlich geteilt werden: Schepsdorf war als Ortsteil von Lingen vorgesehen und Lohne sollte sich mit dem verfeindeten Nachbarort Wietmarschen zusammenschließen. Die Einwohner von Schepsdorf-Lohne lehnten die Aufteilung ihrer Gemeinde strikt ab.

1971 ergab ein Gutachten, dass die „Nordgemeinde“ entsprechend den Vorgaben der Landesregierung „gerade machbar“ sei. Diese weckte große Hoffnungen auf die Realisierung dieses Projektes. Für den Raum Schepsdorf-Lohne sah ein „Diskussionsentwurf“ des Innenministeriums weiterhin die Aufteilung der Gemeinde vor. Lohne sollte samt Wachendorf und Schwartenpohl mit Wietmarschen zu einer Gemeinde Wietmarschen-Lohne kommen, Altenlingen zu Lingen.

Der Kreistag blieb bei seiner Haltung, dass die Stadt Lingen nicht zu groß werden solle, um damit nicht die Existenz des Landkreises Lingen zu gefährden. Er forderte die Erweiterung von Schepsdorf-Lohne um Wachendorf und Schwartenpohl sowie die Bildung der Nordgemeinde.

Lange Zeit umstritten war die Eigenständigkeit von Salzbergen. Zwar hatten sich dort mehrere Kleinstgemeinden bereits zur Gemeinde Salzbergen zusammengeschlossen, doch lagen die Flächengroße und die Einwohnerzahl der Gemeinde am unteren Rand der Rahmenrichtlinien. Daher erwogen die Planer einen Anschluss an die Nachbargemeinden Emsbüren oder Spelle.

1972 wurde der Referentenentwurf des Innenministeriums über den Raum Lingen-Grafschaft Bentheim vorgelegt. Er sah vor, dass Altenlingen, Brögbern, Clusorth-Bramhar, Holthausen-Biene und Schepsdorf zu Lingen kommen sollten. Wietmarschen wollte man um Lohne, Wachendorf und Schwartenpohl erweitern. Für die weitere Diskussion gründete man einen „Planungsverband Lingen-Umland“. Doch dagegen wehrte sich Salzbergen ganz entschieden. Unter dem Motto „Bleiben wir nicht alleine, hau’n wir ab nach Rheine“ drohte man dort sogar mit einem Anschluss an den Nachbarkreis Steinfurt in Nordrhein-Westfalen.

Der Protest in den betroffenen Gemeinden brach aus. Besonders in Schepsdorf-Lohne. Es kam zu einer Großdemonstration mit über zweitausend Teilnehmern, die zeitweise sogar den Durchgangsverkehr auf der vielbefahrenen Bundesstraße zwischen Lingen und Nordhorn sperrten.

Großdemonstration für den Erhalt der Gemeinde Schepsdorf-Lohne

Doch auch der erbitterte Widerstand blieb vergeblich. Am 3. Juli 1973 trat das Gesetz über die Neuordnung der Gemeinden in Kraft. Im Kreis Lingen waren jetzt nur noch sechs Gemeinden und die Stadt Lingen vorgesehen.

Anfang Februar 1974 schloss die Stadt Lingen die entsprechenden Zusammenlegungsverträge mit den Gemeinden Altenlingen, Brögbern, Clusorth-Bramhar, Holthausen-Biene und Schepsdorf. In allen neuen Ortsteilen wurden analog zu Darme, Laxten, Baccum und Bramsche eigene Ortsräte eingerichtet.

Am 1. März 1974 trat die Gemeindereform in Kraft und für die Stadt Lingen wurde ein Interimsrat gebildet, um bis zur nächsten Kommunalwahl die Vertretung der Ortsteile zu gewährleisten. Die Stat Lingen hatte ihre Einwohnerzahl von ca. 34.400 um etwa ein Drittel auf 46.550 Einwohner vergrößert. Noch deutlicher war der Zugewinn an Fläche. Von rund 4.000 Hektar hatte sich Lingen auf etwa 16.000 Hektar flächenmäßig fast vervierfacht.

Damit war die weitere Entwicklung von Wohngebieten, Gewerbeflächen und Industrieansiedlungen möglich in Lingen wieder möglich.