Tödde auf einer Fliese. Emslandmuseum Lingen.
„In’n Tispel bi’n fitzen Butt wöt de Rödel bequässt.“ – Sie verstehen nur Bahnhof? Kein Wunder, denn es handelt sich hier um eine Geheimsprache. Übersetzt heißt der verschlüsselte Satz: „In der Kneipe bei einem guten Essen wurde über den Handel gesprochen.“ Wir haben hier eine Kostprobe der Sprache der Tödden (auch Tiötten, Tüötten oder Tüödden) vor uns – der Wanderhändler aus Beesten, Freren, Schapen, Hopsten, Mettingen, Recke und Umgebung –, die diese Sondersprache nutzten, um ungehindert ihren Geschäften nachgehen zu können. Denn viele geschäftliche Angelegenheiten waren nicht für die Ohren von Fremden bestimmt.
Doch bereits Ende des 19. Jahrhunderts war diese Sprache ausgestorben, da sie mit dem Verschwinden des Wanderhandels ihre eigentliche Funktion verloren hatte. Nur einige wenige Wörter haben überlebt und es in den örtlichen Sprachgebrauch geschafft, etwa die Benennung „Klunsheini“ für einen trotteligen Menschen oder „Snüwert“ als Bezeichnung für die Nase. Ab dem Zeitpunkt ihres Verschwindens begann aber auch die nähere wissenschaftliche Erforschung dieser Geheimsprache, die eng mit den Namen Louis Stüve, Friedrich Kluge, Fritz Hettlage, Josef Veldtrup und Klaus Siewert verknüpft ist. Letzterer hat 2011 ein vollständiges Wörterbuch der erhaltenen Begriffe und eine ausführliche Beschreibung der Sprache herausgegeben.
Entstehung des Töddenwesen
Töddenstatue in Hopsten. Emslandmuseum Lingen.
Die Sprache der Tödden ist eng mit dem Töddenwesen der Region selbst verbunden. Es entstand im Zuge einer anwachsenden Bevölkerung in Beesten, Freren, Schapen, Hopsten, Mettingen und Recke seit dem 16. Jahrhundert, die allerdings gepaart war mit den schlechten Böden der Gegend. Dadurch wurden die landwirtschaftlichen Ressourcen knapp, weshalb viele Menschen sich einen anderen Broterwerb suchen mussten. Die Herstellung von Leinenstoffen als Einkommensmöglichkeit – wie im südlichen Tecklenburger Land – fiel in der Region aus, weil Hanf und Flachs hier nur schlecht gediehen. Viele zogen deshalb für mehrere Monate im Jahr in die Niederlande, um dort zu arbeiten. Eine andere Möglichkeit des Gelderwerbs bot der Wanderhandel mit verschiedenen Waren. Sicherlich darf man anfangs beide Formen nicht strikt trennen, sondern muss von der Kombination von Wanderhandel und Wanderarbeit ausgehen. Später handelten die Tödden aber nicht nur mit den Niederlanden, sondern brachten ihre Waren auch in den europäischen Nordosten. Einige Wanderhändler stiegen so zu Großunternehmern auf. Damit Geschäftsinterna und bestimmte Informationen vor fremden Zuhörern geschützt werden konnten, unterhielten sich die Tödden in ihrer Geheimsprache. Diese Sondersprache umfasste etwa 400 Wörter, die in die Sätze der Muttersprache, also das Niederdeutsche, eingeflochten wurden.
Woher kommt die Bezeichnung „Tödde“
Von den Tödden selbst wurde ihre Sprache als „Bargunsch“ oder „Humpisch“ bezeichnet. Humpisch ist abgeleitet von deutsch Hümpel ‚Bündel, Häufchen‘, englisch hum ‚Höcker, Buckel‘ bzw. to hump ‚auf die Schulter nehmen‘, geht also auf die praktische Tätigkeit des Wanderhandels zurück. In der Bezeichnung Bargunsch hat sich dagegen der Ursprung des Töddenwesens erhalten. Das Wort ist nämlich von der Bezeichnung für die niederländisch-belgischen Krämersprachen „Bargoens“ abgeleitet. Neuere Forschungen zur Geschichte der Tödden haben ergeben, dass die Idee, durch Wanderhandel ein Auskommen zu erhalten, sehr wahrscheinlich durch das Vorbild von Wanderhändlern aus Brabant mit einem Zentrum um Hasselt in die Region gelangte, die sich bereits 1613 in großer Zahl in Westfalen und auch im Tecklenburger Land nachweisen lassen. Anscheinend haben die Tödden (auch Tiötten oder Tüötten) nicht nur den Namen ihrer Geheimsprache, sondern auch ihre Eigenbezeichnung von den brabantischen Händlern übernommen, die Teuten genannt wurden. Sprachlich gesehen, passt diese Herleitung von Tödde/Tiötte/Tüötte/Tüödde aus Teute nämlich besser als der ebenfalls erwogene Anschluss an niederdeutsch todde ‚Bündel, Packen‘, toddern ‚langsam gehen, ziehen‘, westfälisch toddeln ‚schleppend gehen‘. Dazu stimmt auch, dass die Tödden einen Großteil ihres Geheimwortschatzes von den Teuten abgelauscht haben. Dieser brabantische Ursprung des Töddenwesens war offenbar noch Ende des 18. Jahrhunderts den örtlichen Verwaltungsbeamten bekannt, wie aus damaligen Berichten hervorgeht. Die Geheimsprache der Tödden entstand also in der Zeit nach 1600 und war bereits nach gut 250 Jahren ihres Gebrauchs 1870 wieder ausgestorben. Der Begriff Teute, von der Tödde abgeleitet worden sein dürfte, ist bisher nicht einleuchtend erklärt. Möglicherweise liegt ihm das Adjektiv teutoons ‚deutsch‘ zugrunde – vielleicht motiviert durch das Hauptabsatzgebiet der brabantischen Händler. Bei Teute wie Tödde handelt sich um eine Eigenbezeichnung aus der Geheimsprache der Händler. Im amtlichen Schriftgut der Zeit kommt der Ausdruck Tödde nicht vor. Hier hießen die Wanderhändler „Packenträger“, „Lingensche Messerträger“, „Hopster“ oder im Niederländischen „Bonttrager“. Erst im Zuge der Beschäftigung mit ihrer Geheimsprache bürgerte sich der Begriff um 1900 in der orts- und landesgeschichtlichen Forschung ein.
Töddenstatue in Mettingen. Emslandmuseum Lingen.