1970 erhielt das Amtsgericht einen Erweiterungsbau
In den 1960er-Jahren platzte das Amtsgericht Lingen in den altehrwürdigen Räumen des Palais Danckelmann aus allen Nähten. Hermann Mess, seit 1965 junger
Rechtspfleger bei der Justiz, erinnert sich noch an die drangvolle Enge in den Büroräumen, die zum Teil als Dachkammern bis in den Bodenraum eingebaut waren. Die meisten Akten lagerten im Gewölbekeller, aber auch im Spitzboden, und mussten von dort bei Bedarf außerdem noch zu einer Nebenstelle im damaligen Nova-Haus an der Wilhelmsstraße herübergebracht werden. Auch die umfangreiche Bücherei lagerte im historischen Danckelmann-Palais und lastetet auf den 300 Jahre alten Deckenbalken. An die Bürosituation und den Brandschutz dachte damals noch kaum jemand, aber: die Statik wurde allmählich bedenklich.
Doch wo sollte ein Erweiterungsbau entstehen? Zunächst dacht man über einen kompletten Neubau an der Georgstraße nach. Doch aufgrund der Verkehrsanbindung – viele Leute hatten damals noch kein Auto – war nur ein Standort in der Innenstadt denkbar. Auch der Alte Pferdemarkt kam als Bauplatz für einen Neubau in Gespräch. Einige Lingener begrüßten dies und wollten im Danckelmann-Palais ein Kulturzentrum einrichten. Doch das Gebäude war dafür viel zu klein und ein Umbau erwies sich als viel zu teuer.
Schließlich schlug Baudirektor Groß vom Staatshochbauamt einen großzügigen Anbau in Richtung Justizgarten vor, der allgemeine Zustimmung fand. 1968 begannen die Bauarbeiten, die sich über zwei Jahre hinzogen. Innovativ war damals noch das Stahlbetonskelett, dass mit holländischen Handstrichziegeln verblendet wurde. So sollte sich das Bauwerk optisch in die historische Innenstadt einfügen. Alt- und Neubau wurden durch einen langen, verglasten Zwischenbau verbunden, die sogenannte „Beamtenlaufbahn“, die – auch in doppeltem Sinne – heute noch besteht.
Ende 1970 konnte der Neubau eingeweiht werden und galt allgemein als gelungen. Eine große Feier gab es damals nicht, erinnert sich Hermann Meß, der im Jahr 2002 in seiner langen Dienstzeit auch noch die große Renovierung des Erweiterungsbaus miterlebt hat. Der Minister hatte keine Zeit. Aber alle Mitarbeiter freuten sich über die neuen Räume. Und alle Lingener freuten sich über den Justizgarten, der damals als Parkanlage hergerichtet und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde.
Bis 1968 trennte eine barocke Gartenmauer mit schön gestalteten Sandsteinpfeilern den Innenhof des Danckelmannschen Palais vom dahinterliegenden Gartengelände, das damals noch parzellenweise als Gemüsegarten an Lingener Familien verpachtet war – sozusagen ein Vorläufer vom heutigen „urban gardening“.
Diese Gartenmauer wurde 1719 von Silvester Danckelmann und seiner Gattin Beate errichtet – so erzählen es ihre Wappen und eine Inschrift auf den beiden Torpfeilern, die von Sonnenuhren bekrönt werden. Über eine Freitreppe gelangt man durch das Portal vom Hof in den tiefer gelegenen Garten, der damals in barockzeitlichem Stil mit geometrischen Beeten gegliedert war.
An der alten Stelle konnte die Gartenmauer 1968 auf keine Fall verbleiben. Die Denkmalpflegerin Dr. Roswitha Poppe aus Osnabrück schaltete sich ein schlug vor, die Sandsteinpfeiler vor dem benachbarten Kutscherhaus neu aufzustellen, um so den„geistigen Zusammenhang“ zum alten Standort aufrecht zu erhalten. Daher wurden die sechs kleinen Pfeiler am damaligen „Museumsweg“ vom Kutscherhaus zum Pferdemarkt aufgestellt und die beiden Torpfeiler mit den Sonnenuhren erhielten direkt vor dem Museumseingang einen dekorativen Standort. Dort standen sie etwa 35 Jahre lang und zierten manches Hochzeitsfoto bei standesamtlichen Trauungen im Kutscherhaus.
Die kleinen Pfeiler wurden bei Großveranstaltungen hin und wieder von rangierenden Fahrzeugen beschädigt und landeten nach und nach auf dem städtischen Bauhof. Zu schade, fanden die Kivelinge und bauten die barocke Gartenmauer zum Kivelingsfest 2005 als Geschenk an die Stadt Lingen wieder auf. Viele Lingener werden sich an die Einweihung dieses Geschenkes noch erinnern, bei der Baron von Danckelmann höchstpersönlich auftrat und sein Haus und seinen Garten nach fast 300 Jahren kaum wiedererkannte.
Mittlerweile haben die meisten Sandsteinpfeiler erneut Zuflucht auf dem Bauhof gefunden, denn das Gelände vor dem Kutscherhaus ist derzeit eine Großbaustelle für den Erweiterungsbau des Emslandmuseums. Demnächst werden sie in die neue Platzgestaltung zwischen Museum und Kutscherhaus einbezogen und sicherlich wieder einen attraktiven Blickpunkt bilden. Darauf freut sich auch Ruheständler Hermann Meß, der sich schon seit vielen Jahren beim Heimatverein Lingen engagiert.