Weihnachten im Krieg

14. Dezember 2020

Holzkästchen „Weihnachten 1942“ mit Wehrmachtsadler (Hakenkreuz nachträglich entfernt)

An keinem Tag im Jahr wird die Sinnlosigkeit des Krieges so deutlich wie an Weihnachten. Auch alle Soldaten wären an diesem Tag

Propagandabild: „Kriegsweihnacht 1943“ (Emslandmuseum Lingen)

viel lieber bei ihren Familien und die Kriegsgefangenen in fernen Ländern natürlich erst recht. Und mit diesen Gedanken verbindet sich in vielen Familien die Erinnerungen an die eigene Geschichte im Zweiten Weltkrieg.

Viele Zeitzeugen sind längst gestorben, aber ihre Erinnerungen sind durch Exponate und Dokumente im Emslandmuseum Lingen bewahrt geblieben.

Die Kriegspropanda wusste natürlich, dass gerade zu Weihnachten der Wunsch nach einem raschen Ende des Krieges die Herzen daheim und an den Fronten erfüllte. Darauf musste reagiert werden. Weihnachtsfeiern für Soldaten wurden organisiert, die Feldpost bewältigte Rekordmengen an Briefen und Päckchen zwischen Front und Heimat. Das Fehlen der Väter, Brüder und Söhne am Heiligabend wurde als Opferdienst für das Vaterland und für die Sicherheit der Familien dabei deklariert. Besondere Geschenkbücher mit subtil eingebauter Durchhaltepropaganda wurden an die Soldaten verteilt.

„Kriegsweihnacht 1940“ mit „Bomben auf England“ (Emslandmuseum, Ansichtskartensammlung)

Im Mittelpunkt steht der deutsche Soldat, der fern der Familie tief im winterlichen Schnee einsam auch an den Weihnachtstagen seine Pflicht tut. Die Feldpost sorgt schon für den Kontakt zwischen Front und Heimat. Den Kriegsgegnern verspricht man als Weihnachtsgaben Bomben und Tod.

Doch die Realität sieht anders aus. Auf den Fotos der Weihnachtsfeiern für Soldaten sieht man überwiegend traurige und nachdenkliche Gesichter.

Kleiner Geschenke werden nach Haus geschickt. Kulinarische Spezialitäten aus den Ländern, die man gerade besetzt hat, oder kunsthandwerkliche Arbeiten, am besten aus leichtem Material wie Holz oder Aluminium, damit man sie mit der Feldpost versenden kann. Aus Norwegen zum Beispiel treffen zum Weihnachtsfest 1942 kunstvoll geschnitzte Kästchen aus Birkenholz, aber auch Holzteller mit nordischen Motiven in Lingen ein.

Einer der traurigsten Erinnerungspunkte in der deutschen Geschichte ist das Schicksal der IV. Armee, die Weihnachten 1942 in aussichtsloser Lage im Kessel von Stalingrad dem sicheren Untergang entgegensieht, aber auf Befehl des „Führers“ nicht aufgeben darf.

Unter den eingeschlossenen Truppen befand sich der evangelische Pastor und Arzt Dr. Kurt Reuber. Zum Weihnachtsfest malte er in Stalingrad für die verwundeten und sterbenden Soldaten auf die Rückseite einer russischen Landkarte die berühmte „Stalingradmadonna“. Sie ist dargestellt im Stil einer Schutzmantelmadonna und zeigt die Umschrift: „Weihnachten im Kessel  Festung Stalingrad – Licht, Leben, Liebe“. Dieses Bild zog jeden Betrachter sofort in seinen Bann, denn es spiegelte die Sehnsucht jedes Soldaten, ja jedes Menschen in verzweifelter Lage.

Zusammen mit einem Selbstbildnis Reubers und 150 weiteren Porträts gelangte das Bild mit einem der letzten Flugzeuge aus dem Kessel von Stalingrad zu Reubers Familie.

Reuber geriet kurz darauf in Kriegsgefangenschaft und kam in das Offizierslager Jelabuga. Dort malte er ein Jahr später zum Weihnachtsfest 1943 als Kopie der Stalingradmadonna die „Gefangenen-Madonna“. Es gelang, dieses Bild mit einem entlassenen Kriegsgefangenen nach Deutschland zu bringen. Gleichzeit mit dem Bild erreichte seine Familie die Nachricht, dass Kurt Reuber am 20. Januar 1944 nach schwerer Krankheit am Flecktyphus verstorben sei.

Beide Bilder fanden als Kopien rasche Verbreitung und wurden zu Symbolen für das Schicksal der rund 300.000 Soldaten im Kessel von Stalingrad und von Millionen deutschen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion. Von den wenigen Stalingradheimkehrern wurden sie wie Ikonen verehrt.

Die Familie von Dr. Kurt Reuber übergibt Bischof Dr. Martin Kruse die „Stalingrad-Madonna“ (1983)

Auf Anregung des damaligen Bundespräsidenten Karl Carstens übergab die Familie Reuber das Original der „Stalingradmadonna“ 1983 der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin. Der damalige evangelische Bischof von Berlin, der gebürtige Lingener und Ehrenbürger Dr. Martin Kruse, nahm das Bild dort in Empfang und verfasste ein interessantes Buch über seine Geschichte. (Martin Kruse (Hrsg.): Die Stalingrad-Madonna. Das Werk Kurt Reubers als Dokument der Versöhnung. 1. vollständig überarbeitete Auflage. Lutherisches Verlagshaus, Hannover 2012.)

Das Emslandmuseum Lingen erwarb bei der „Regionalen Bücherbörse“ 2019 in der Halle IV für 20 Euro eine großformatige Künstlermappe mit Reproduktionen der Stalingradmadonna und 50 ausgewählten Porträts von Kurt Reubers. Sie stammten aus dem Nachlass eines früheren Kriegsgefangenen in Russland.