75 Jahre Niedersachen
1946-2021 Eine große Herausforderung in der Nachkriegszeit war die Aufnahme und Integration von Millionen Flüchtlingen aus den ostdeutschen Gebieten jenseits …
von Oder und Neiße, die nun unter polnischer bzw. sowjetischer Verwaltung standen. Die deutschen Bewohner von Ostpreußen, Pommern und Schlesien waren vor Kriegsende vor der Roten Armee geflüchtet. Wer geblieben oder nach dem Kriegsende wieder nach Haus zurückgekehrt war, wurde nun von den Sowjets und den Polen von dort Richtung Westen vertrieben.
Viele Familien gelangten erst nach einer abenteuerlichen Odyssee in das Emsland. Davon erzählt ein Zeitzeugenbericht einer Familie aus dem Heimatort Roßlinde im Kreis Gumbinnen in Ostpreußen im Archiv des Emslandmuseums (Inv.Nr. 3445):
„Flucht und Vertreibung 1945 aus Gumbinnen (Ostpreußen)
Als die russische Armee in Ostpreußen einmarschierte. Es war Ende Januar 1945 bei grimmiger Kälte, minus 30 Grad, als tausende von Menschen innerhalb von wenigen Stunden ihre Heimat für immer verlassen mußten. Es waren Mütter mit ihren Kindern, alte Leute – von den Männern getrennt, die in den Krieg zogen.
Unsere Reise mit meiner Mutter verlief so: Mein Bruder, damals 10jährig, und ich, kaum 6 Jahre alt, trugen einen Ranzen, vollgepackt mit Brot, Speck und Schmalz für den langen Weg auf die Reise ins Ungewisse mit.
Es war furchtbar, unter den ständigen Bomben-Alarmen der Russen weiter zu kommen. Viele und abertausende sind beim Bombenhagel zu Tode gekommen.
Unsere erste Station war damals Stolp in Pommern. Vater mußte uns schnell mit seinem Treck verlassen ins ungewisse Niemandsland. Auch in Stolp durften wir uns nur kurze Zeit aufhalten, da kein Platz für all diese Menschen war. Von hier aus ging es im April 1945 zum Auffanglager weiter nach Kopenhagen (Dänemark).“
Die Familie wurde in Stolp getrennt. Die Männer und die alten Leute machten sich mit einem Treck über Land auf den Weg nach Westen, die Frauen und Kinder wurden mit Schiffen über die Ostsee in das damals von den deutschen Truppen besetzte Dänemark gebracht. Sie fuhren mit dem Schiff „Mars“ nach Pommern und dann im April 1945 weiter nach Dänemark. Von dort aus suchte die Mutter über den Suchtdienst des RotenKreuze ihre Angehörigen.
Der Vater kam mit seinen Eltern per Treck durch bis Berlin. Dort wurden die Trakehnerpferde, die bis hierhin durchgehalten hatten erschossen, so dass die Weiterfahrt unmöglich war. Durch das Rote Kreuz wurden die drei Ende 1945 in das Emsland geleitet, wo sich bereits eine Tante und eine Cousine aufhielten. Sie waren Anfang 1945 mit einem Flüchtlingszug per Eisenbahn in das Emsland gekommen.
„Im August 1946 bekam Mutter durch das Rote Kreuz die Nachricht, daß unser Vater mit seinen Eltern im Emsland gelandet waren. Jetzt sind wir seit September 1946 in Lingen beheimatet.“
Die typisch ostpreußischen Bernsteinketten stammen von den Vorfahren der Familie des Vaters. Bei der Flucht trugen die Frauen die Papiere in einem Brustbeutel bei sich. Die Ketten und andere Schmuckstücke hatten sie in die Mäntel und Kleidungsstücke eingenäht. Geschirr und Silber waren vor der Flucht im Garten vergraben worden. Die Nachfahren der Familie übergaben den Bernsteinschmuck dem Emslandmuseum (Inv.Nr. 3446).