Von Mänteln und Schirmen, Schutz und Heiligen
Vom 4. Mai bis zum 21. Juni zeigt die Künstlerin Astrid J. Eichin in der Bonifatiuskirche in Lingen eine Ausstellung zu ihrem Kunstprojekt „Schutzmantel“ (www.astrid-j-eichin.de). Grund genug, der Bedeutung des Schutzmantels in der jüdisch-christlichen Tradition einem auf den Saum zu schauen.
„Maria breit den Mantel aus, mach Schirm und Schild für uns daraus. Lass uns darunter sicher stehn, bis alle Stürm vorüber gehen…“ Dieses Marienlied wurde früher auch im Emsland oft und inbrünstig gesungen und die Verehrung der Gottesmutter als „Schutz und Schirm“ reicht bis in die Zeit der frühen christlichen Kirchen zurück.
Besonders in der Ostkirche war die Idee von der Gottesmutter als „unbezwingliche Schützerin und eine unüberwindliche Mauer und ein unüberwindlicher Schild“ weit verbreitet. Sie wurde besonders angerufen, wenn die heidnischen Feinde Konstantinopel wieder einmal bedrohten. Dort, in der Blachernenkirche, wurde auch das legendäre Kleid der Gottesmutter aufbewahrt und bei Belagerungen der Stadt auf die Mauern getragen, um die Feinde zu vertreiben. Dieses Kleid der Gottesmutter wurde später „Schutzmantel der Jungfrau“ genannt und hier liegen wohl die Ursprünge der Schutzmantelmadonna. In ähnlicher Gestalt erschien Maria im 10. Jahrhundert dem Heiligen Andreas Salos: Er sah die Gottesmutter, wie sie mit ihrem Schleier das Volks beschützte. Und so wurde sie bald auch auf zahlreichen Ikonen dargestellt.
Im christlichen Abendland berichtet schon Gregor von Tours (+594) von der Schutzmantelfunktion Mariens und erzählte in einer Geschichte, dass die Gottesmutter ein Kind vor dem Feuer gerettet habe, indem sie es unter ihren Mantel genommen habe. Eine andere Legende handelt davon, dass bei einer Belagerung Konstantinopels die Gottesmutter erschienen sei und ihren Mantel schützend über die Stadt und die Bürger ausgebreitet habe.
Dieses Motiv hielt dann auch Einzug in die mittelalterliche Psalterliteratur. Dort wird sie in lateinische Sprache häufig als „Mater misericordiae“ bezeichnet, als „Mutter der Barmherzigkeit“. Die Heilige Brigitta von Schweden (+1373) hörte in ihren Eingebungen, wie Maria zu ihre sprach: „Mein weiter Mantel ist meine Barmherzigkeit“. Die bildliche Darstellung dieses Motives wurde die Schutzmantelmadonna.
Mantelschutz als Rechtsbegriff kannte schon das alte Testament, etwa in dem dort beschriebenen Brauch, mit der Bedeckung durch den Mantel den Anspruch auf Menschen, speziell auf Frauen, aber auch auf Dinge zu untermauern. In anderen Kulturen galt der Mantel ebenfalls als Zeichen von Herrschaft und Besitz. Nicht nur griechische Götter trugen einen Herrschermantel, sondern auch die germanischen Götter Odin und Wodan.
Im mittelalterlichen Gerichtswesen wurden bei der Adoption Kinder als „Mantelkinder“ symbolisch unter den Mantel genommen und durch den Brautmantel nahm man die Braut in die Sippe des Bräutigams auf. Alle diese Vorstellungen und Traditionen aus Brauchtum, Theologie und Liturgie verschiedener Kulturen schufen die Voraussetzungen für die Entstehung der bildhaften Darstellung der Schutzmantelmadonna.
Erste Bilder dieser Art entstanden im Abendland im 13. Jahrhundert in Italien und seit dem späten Mittelalter war das Motiv in der christlichen Kunst weit verbreitet.
Die Reformatoren lehnten die Idee einer Schutzmantelmadonna selbstverständlich ab. So symbolisierte sie seit der Reformationszeit auch den Schutz der Katholiken vor den Protestanten.
Neben zahllosen Gemälden sind einige Skulpturen der Schutzmantelmadonna besonders bekannt. Dazu gehört die um 1470 entstandene Schutzmantelmadonna von Markdorf in der Nähe des Bodensees. Die Muttergottes trägt das Kind auf dem Arm und ihre weiter Mantel umhüllt zahlreiche Männer und Frauen zu ihren Füßen. Diese Skulptur ist durch die Darstellung auf kleinen Andachtsbildern auch im Emsland sehr bekannt.
Vielleicht noch bekannter ist die „Ravensburger Schutzmantelmaria“, die um 1480 vom Bildhauer Michael Erhart vermutlich in Ulm aus Lindenholz geschnitzt wurde. Sie befand sich ursprünglich in der Liebfrauenkirche in Ulm und ist seit 1850 in der Skulpturensammlung der Berliner Museen zu sehen. Die Maria ist stehend ohne Kind dargestellt und breitet ihren Mantel schützend über zehn Frauen und Männer. Die Skulptur gilt als ein Hauptwerk der deutschen Spätgotik und ist in zahlreichen Kopien verbreitet.
Eine vom Bildhauer Hugo Gerdelmann (1941-2020) aus Haren-Altenberge geschnitzte Kopie der Ravensburger Schutzmantelmaria befindet sich in der Kirche in Lingen-Darme. Im Gegensatz zu der berühmten Vorlage ist die Figur in Darme nicht farbig gefasst. Eigenartig kontrastiert das helle Holz der Figur mit den dunkelfarbigen Paneelen der Hintergrundnische. Eine indirekte Beleuchtung hüllt die Szenerie in ein dezentes Licht.
Eine weitere Kopie der gleichen Vorlage schmückt auch einen Giebelausbau am Marienstift in Bawinkel. Der etwas ungewöhnliche Hintergrund aus Zinkblech lässt die farbige Fassung der Figur deutlich hervortreten.
Eine ganz andere künstlerische Konzeption zeigt eine Schutzmantelfigur des Lingener Bildhauers Wilm Böing (1919-1981), die früher vor der Klosterschule in Thuine stand und heute im weitläufigen Klostergarten der Franziskanerinnen von Thuine aufgestellt ist. Die 1962 entstandene Figur zeigt Maria mit einem ausgebreiteten Mantel, der zwei Jugendliche und eine Ordensschwester umgreift.
Häufig findet sich das Motiv der Schutzmantelmadonna auch auf kleinen Andachtsbildchen, die sich speziell an Kinder richteten. Bekannt sind solche Vorlagen etwa vom süddeutschen Maler und Grafiker Matthäus Schiestl (1869-1939) oder der Ordenschwester Maria Innocentia (Berta) Hummel (1909-1946), der Schöpferin der beliebten „Hummel-Bilder“ und „Hummel-Figuren“.
Literaturhinweis:
Alois Thomas: Schutzmantelmadonna. In: Leonard Küppers (Hrsg.): Die Gottesmutter. Marienbilder im Rheinland und Westfalen. Recklinghausen 1974, S. 227-242.