Interview mit dem Lingener Bundestagsabgeordneten Albert Stegemann
Im April machte das Info-Mobil des Deutschen Bundestages für ein paar Tage Station auf dem Lingener Marktplatz. Im Mittelpunkt der Ausstellung und der Informationsangebote stand das Ereignis „75 Jahre Grundgesetz“. Im Info-Mobil trafen wir zufällig den Lingener Bundestagsabgeordneten Albert Stegemann und stellten ihm spontan ein paar Fragen zum Grundgesetz.
Herr Stegemann, das Grundgesetz wird in diesen Tagen 75 Jahre alt. Was schätzen Sie persönlich ganz besonders an der Verfassung unseres Landes?
„Das Grundgesetz ist für mich vor allem ein Symbol der Demokratie und des Neuanfangs nach den Verbrechen der Nationalsozialisten. Es ist ein Fundament, auf dem das moderne Deutschland aufgebaut wurde, eine Lehre aus den Fehlern der Vergangenheit. Artikel 1 schätze ich besonders, weil er die Unantastbarkeit der Menschenwürde betont. Für mich ist dieser Artikel das Herzstück unserer Verfassung und die Basis jeder politischen Entscheidung, die ich treffe.“
Das Grundgesetz sieht gleiche Rechte für Mann und Frau, gleiche Chancen für alle und das Sozialstaatsprinzip vor. Wie sehen sie hier aktuell den Stand der Dinge?
„Das Grundgesetz hat in den letzten 75 Jahren maßgeblich dazu beigetragen, dass die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie die Chancengleichheit in unserem Land stark vorangeschritten sind. Aktuell haben so viele Menschen in unserem Land Möglichkeiten zu gesellschaftlichem Aufstieg und Wohlstand wie nie zuvor. Aber natürlich gibt es immer noch Bereiche, in denen wir uns verbessern können, vor allem im Hinblick auf die gleichberechtigte Teilhabe in der Wirtschaft, in parteipolitischen Ämtern und besonders im Bereich der Familienpolitik.“
Das Grundgesetz beschreibt eine demokratische Ordnung, in der Parteien einen hohen Stellenwert haben. Aber seit vielen Jahren schwindet das Interesse von Bürgerinnen und Bürgern, sich in Parteien zu engagieren. Welche Folgen hat diese Entwicklung?
„Die abnehmende Mitgliederzahl in politischen Parteien besorgt mich, weil Parteien eine wesentliche Säule unserer Demokratie sind. Sie sind nicht nur für die politische Willensbildung wichtig, sondern auch ein Ort, an dem Demokratie praktisch und vor Ort gelebt wird. Es ist daher entscheidend, dass Parteien jungen Menschen Möglichkeiten bieten, sich einzubringen und sich so für politisches Engagement zu begeistern. Vor allem aber ist entscheidend, dass sich insbesondere junge Menschen für die Themen des Alltags interessieren und eine Haltung entwickeln. Hier bin ich gar nicht so pessimistisch. In Gesprächen mit Schulklassen nehme ich viele engagierte Diskussionen wahr. Auch die Demonstrationen gegen Rechtsextremismus Anfang des Jahres waren ein starkes Zeichen für unsere Demokratie.“
Einen starken Einfluss auf die Gestaltung des Grundgesetzes hatten die christlichen Kirchen und christliche Politiker. Wie sehen sie die Stellung der christlichen Kirchen und der christlichen Religion im Staat, wenn diese nur noch eine Minderheit der Bevölkerung repräsentieren?
„Die christlichen Kirchen haben in der Geschichte unseres Landes einen prägenden Einfluss auf unsere Gesellschaft und auf das Grundgesetz gehabt. Auch wenn der Anteil der Kirchenmitglieder zurückgeht, bleiben christliche Werte wie Nächstenliebe und Gerechtigkeit fundamentale Bestandteile unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens. Der Staat muss religiös neutral sein, aber er kann und sollte den Dialog mit allen Glaubensgemeinschaften, einschließlich der christlichen Kirchen, weiter pflegen.“
Derzeit steht unser parlamentarisches System unter Druck von Extremisten vielerlei Richtungen, von den sogenannten Reichsbürgern bis zu den Islamisten. Wie kann unsere Demokratie sich gegen diese Feinde verteidigen?
„Unser demokratisches System bietet die notwendigen Werkzeuge, um sich gegen Extremisten aller Art zu verteidigen. Die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und die Verfassungsschutzbehörden spielen dabei eine zentrale Rolle. Gleichzeitig muss auch die Zivilgesellschaft wachsam bleiben. Das bedeutet, dass wir alle aktiv unsere Freiheiten, unsere Rechte und aber auch unsere Pflichten wahrnehmen.“
Vielen Dank, Herr Stegemann, für ihre Antworten. Die Fragen stellte Museumsleiter Dr. Andreas Eiynck